Durch´s Fenster hineinsehen. ODER: Wie man Menschen zum Wandern bringt
Keine Wanderausstellung, nein, eine zu bewandernde Ausstellung, jederzeit begehbar, von egal wie vielen, allein, mit anderen, mit oder ohne Führung, eine unsichtbare Route quer durch die Innenstadt oder ein überraschendes Einzelereignis, mit oder ohne Folgen, über mehrere Schaufenster verteilt, inmitten einer mal schneller, mal langsamer pulsierenden Stadt, egal, ob Regen, Tag, Nacht, Lärm oder Stille. Und das Schönste dabei: es gibt die Möglichkeit eines gemeinsamen Hinsehens, Begegnens, Erkennens, gemeinsamen Verwirrtseins, von Ansichten, Gefühlen, Reaktionen, es gibt die Möglichkeit, dieses Hinsehen mitzugestalten, Verknüpfungen anzubieten, hinein zu funken, Alternativen aufzuzeigen. – Hat man bei einer traditionelleren Vermittlung (von Wissensinhalten) vielleicht die Schwierigkeit, die eigenen Ideen vom zur Verfügung stehenden Platz eines Innenraums begrenzen lassen zu müssen, ist hier der Raum schier grenzenlos – und gleichzeitig auch nicht.
Verschiedene, neue Fragen ergaben sich hier im Zuge der Vorbereitungen: Wie schafft man es, die Aufmerksamkeit der Menschen, die den Weg der Ausstellung begleiten, angesichts von Straßenlärm, Passanten, vorbeischiebenden Fahrrädern, Hunden, zu erhalten und zu halten? Wie viel Raum hat man denn eigentlich zur Verfügung, mit wie viel Raum kann man rechnen, wenn man nicht weiß, was die Welt akustisch, optisch oder olfaktorisch mit und neben der Ausstellungsroute zu diesem Zeitpunkt noch vorhat? Wie kann der Prozess der Betrachtung, der Defragmentierung eines Objekts, des Sich-Auseinander-Setzens mit sich und dem Objekt, der Erfahrung von Relationalität – an sich etwas, das man eher einem besinnlichen, ruhigen Moment zuschreibt und nicht einem in einem lauten, hektischen, mittäglichen Innsbruck in der Innenstadt – gelingen? Wie kann man gleichzeitig Kinder, Erwachsene, Menschen aus den verschiedensten Lebensbereichen mit den unterschiedlichsten Menschenbildern erreichen, und vermitteln, ohne in ein erklärendes „Ja also, in diesem Ausstellungsstück geht es um…“ zu verfallen, weil Zeit, ZuhörerInnen, Ort und Akustik eine alternative Begegnung zu verhindern scheinen? Und zu guter Letzt: Was soll überhaupt vermittelt werden, von dem, was man glaubt, selbst verstanden zu haben und das, ohne dabei bei all der Vermittlung, Dekodierung, Theorie, Prozessreflexivität geschuldeten Objektivität den Moment des neugierigen, nachspürenden Hinsehens nicht als zentrales Moment zu verlieren?
Hauptanliegen des Vermittlungskonzepts musste es demnach sein, einen Raum auf diesem „Weg“ zu schaffen, der sich genau dieser unplanbaren Elemente bedient und diese dafür nutzt, Miteinander, Gegeneinander, verschiedene Ansichten, wenig Raum, viel Raum, Stadt, Gerüche, Vielfalt, Lärm zu spüren und so Zugang zu den Kunstwerken zu schaffen, auch, um den BesucherInnen beziehungsweise MitwandererInnen den Moment des Anteil-Nehmens als bewussten Akt, als Leistung, als Miteinander-Geschaffenes anbieten zu können.
Spricht man über Vielfalt, spricht man ansonsten über MigrantInnen, man spricht über Multikulturalität, man spricht über Schwierigkeiten, über Anderssein, über Unterschiede, über Zahlen, über Geld, über Mediales, und man setzt sich selten mit Bewegung, mit einem Weg, mit Fenstern, mit Rätseln (die die einzelnen Werke in sich tragen), mit Unverständnis, mit Routen, mit Bekanntem, da wo man es am wenigsten erwartet, mit Wiedererkennen, mit Kürbissen, Fahrrädern, Farben, Baustellen, Löchern oder weißen Flecken, mit dem Einzelnen, dem Besonderen, mit Staunen, mit Warten, mit Körperlichkeit – mit der eigenen und der des Anderen –, aber auch selten mit Einsamkeit, Angst, Zorn, Stolz, Liebe oder Freude auseinander – das Konzept versuchte, die Route, den Plan, die gewählten Punkte, die Werke, den Ort dafür zu nutzen: Einer Vielfalt Vielfalt vielfältig vermitteln. Begegnung von Vielfalt inmitten der Vielfalt.
Die Methode hierzu ebenso: mal laut, mal leise, mal klatschend, mal Hände schüttelnd, mal zuhörend, mal nachdenklich, mal nachspürend, mal beobachtend, mal posierend, wartend, lachend, sprechend, lesend, mal stehend, für sich, in einem Kreis, nebeneinander, gehend, flanierend, schweigend. Individuelle Zugangswege erkennen, akzeptieren, thematisieren, Raum geben, aber auch neue Zugangswege zeigen, Raum schaffen – also quasi das Fenster öffnen, Kunst begegnen, Fragen an sie stellen, Antworten suchen, private Antworten, politische Antworten, gesellschaftskritische Antworten, wenn man genau hinsieht, wenn man sich die Zeit nimmt, stillzustehen, und nicht mit den nebenher vorbeigehenden Menschen davon zu gleiten, wenn man Details erkennt, assoziiert, Ursprung und Verfahrensweisen erforscht, einem ersten Eindruck nachspürt und sich auf diesen einlassen möchte.
Anna Szolga
Vermittlungskozept