Gespräche über Integration. Gespräch über uns.
Verena Schlichtmeier, Oscar Thomas-Olalde
Ausgangspunkte
Die Gespräche, die wir an den Orten der Ausstellung führten, waren der konsequente Versuch konkret über sich selbst, über gelebte und gewünschte Realität zu reden, und nicht pauschal, theoretisch über Integration oder gar über die jeweils „Anderen“. Sie sind der Versuch, einen Erfahrungsraum zu schaffen, der das Persönliche und Gegenwärtige in den Mittelpunkt stellt und in den Kontext der jeweiligen Gruppe setzt. Es geht nicht darum, über eine Abstraktion – in unserem Fall „Integration“ – zu diskutieren, sondern konkret über „VIELFALT daheim IN TIROL“, und sich darin verortet zu erleben.
Jede Gruppe startete mit einer Erkundung. Die Differenzverhältnisse, die in jeder Gruppe bestehen, wurden sichtbar und bewusst gemacht, Unterschiede, Gemeinsamkeiten und vor allem die Beweglichkeit von beiden wurden erlebbar. Differenzkategorien wie Herkunft, rechtlicher Status, Geschlecht, soziale Schicht wurden offengelegt, ihre Bedeutung damit in der Gruppe verhandelbar. In den Gesprächen machten wir oft die Erfahrung, dass die Differenzlinien, die innerhalb der Gruppe am Anfang deutlich zu sein schienen, sich verschieben können. Das anschließende Miteinander-Sprechen war ein Erzählen und Hören von konkreten Lebensgeschichten, von Erlebtem, von erfahrener Diskriminierung und gelungenen Handlungen gegen Rassismus und Ausgrenzung.
Jede Gruppe war anders, jede spannend und für uns neu.
Erinnerte Szenen
Szene 1
Eine Gruppe an einem Ausstellungsort im Tiroler Unterland. Mit dabei ist ein Mädchen, Volksschülerin der 4. Klasse. Sie erzählt ihre Geschichte als Schülerin in einer „ganz normalen“ Tiroler Volksschulklasse. Sie beschreibt, wie manche Kinder zu Anderen, konkret zu „Türken“ werden, wie die „österreichischen Kinder“ sie zu Anderen machen, die nicht ganz dazugehören, und das – so das Mädchen – „weil sie anders, nein, weil sie angeblich so anders sind“. Die zu Anderen gemachten werden ausgegrenzt, sie werden nicht zu Kinderfesten eingeladen, sie bleiben außen vor – die Realität von früher Diskriminierung an einer Tiroler Schule, während die Diskussion über Integration an den Schulen mit ihren gegensätzlichen Haltungen und Strategien weiter vor sich hin brodelt.
Szene 2
Wir fragen, wie sich die TeilnehmerInnen selbst definieren. Definieren Sie sich als:
• MigrantIn
• MigrantIn und ÖsterreicherIn
• ÖsterreicherIn
• nichts von dem zuvor genannten?
Die TeilnehmerInnen ordnen sich zu und nehmen einen entsprechenden Platz im Raum ein. Wir fragen, wer warum wo steht. Eine Frau steht in der Gruppe der MigrantInnen. Die Sichtbarmachung der von ihr getroffenen Wahl einer Gruppe ermöglicht es ihr, eine neue Wahl zu treffen: „Nein, eigentlich will ich hier nicht dazu gehören, eigentlich sehen mich die Anderen so, ich selber will weder Migrantin noch Österreicherin sein, ich definiere mich jetzt neu, nicht mehr nach nationalen Kategorien.“ Sie nimmt eine neue Position ein, eröffnet damit auch für andere eine neue Möglichkeit der Selbstdefinition. Andere GruppenteilnehmerInnen nehmen sich ebenso die Freiheit und verlassen die dominanten Kategorien.
Szene 3
Wir sind mitten in einer Übung zur Selbstpositionierung. Die Frage, die am längsten diskutiert wird, ist jene der Zugehörigkeit. Bereits während der Positionierung im Raum („Gehöre ich zu der Gruppe der ,ÖsterreicherInnen‘ oder nicht?“) wird die Widersprüchlichkeit und Vielschichtigkeit der Frage deutlich. Es geht nicht nur um Herkunft, Geburtsort oder Staatsbürgerschaft. Es geht aber auch nicht nur um die „empfundene Zugehörigkeit“ („Fühle ich mich als ÖsterreicherIn oder nicht?), es geht auch um die soziale Dimension von Zugehörigkeit: wer darf sich, in welchem Raum, unter welchen Umständen, als „ÖsterreicherIn“, als „Nicht-Anders“, als „dazugehörig“ fühlen und wer nicht? In den Anfragen wird die Ambivalenz zwischen der Aufforderung zur Positionierung und der Positionierungen spürbar. Ein Mann mittleren Alters positioniert sich nach einem kurzen Zögern als „Nicht-Österreicher“. Im anschließenden Gespräch kann jede/r zur eigenen Position etwas sagen, nach einigen Wortmeldungen (großteils aus der Gruppe der „Dazugehörigen“) kommen – obwohl dies nicht vorgesehen war – einige Anfragen an die Gruppe derer, die sich als „Nicht-ÖsterreicherInnen“ positioniert haben. „Aber du hast die ja Staatsbürgerschaft und lebst sehr lange hier: Du könntest dich doch als Österreicher verstehen!“, so in etwa lautete die Frage. Die Antwort: „25 Jahre lang war ich in den Augen der Anderen kein Österreicher, egal ob ich die Staatsbürgerschaft hatte oder nicht, also bin ich jetzt auch keiner. Irgendwann habe ich nur das akzeptiert, was mir immer wieder gesagt wurde: Ich bin kein Österreicher, weil ich es nicht sein darf.“
Szene 4
Dieses „Gespräch über Integration“ fand in einer als sehr „integrationsaktiv“ wahrgenommene Gemeinde statt. Wir wunderten uns etwas über die Auswahl des Ortes, und dann noch mehr darüber, dass niemand zum Gespräch erschien. Es war eine organisatorische aber auch strategische Entscheidung des Projektes, den Gemeinden die Organisation und die Bewerbung der Gespräche zu überlassen. Jenseits von organisatorischen Gründen stellte sich uns hier die Frage: Lässt sich Kommunikation organisieren? Macht es Sinn, „Integration“ von außen voranzutreiben? Der menschenleere Raum ist ein passendes Sinnbild für eine Tatsache: „Integration“ ist ein Überbegriff für Regeln und Maßnahmen, die die Teilhabechancen von Menschen massiv bestimmen. „Integration“ bezeichnet aber auch jene Kommunikationsräume, die erst gefüllt werden müssen oder auch leer bleiben können.