Vielfältige Räume. Die Ausstellung als Begegnungsort.
Katerina Haller, Kuratierung und Ausstellungsszenografie
Ausstellungen sind komplexe Medien. Diese Komplexität wird durch vielfältige Erfahrungsmöglichkeiten geschaffen, da verschiedenste Sinne bei der BesucherIn angeregt werden können: Sehen und Hören werden erweitert durch das Klima des Raums, durch Wärme, Geruch und Licht. Durch das Gehen, Stehenbleiben, Bücken oder Strecken kommt die BetrachterIn in Bewegung. Sie entscheidet selbst, wann und wo sie verweilt, um beispielsweise ein Bild anzusehen oder einen Text zu lesen. Eine Ausstellung umfasst stets auch das Gehen, das Bewegen in einem Raum. Die Dauer eines Ausstellungsbesuchs wird selbst bestimmt, im Unterschied zu einem Kino- oder Theaterbesuch, der zu einem bestimmten Zeitpunkt für eine festgesetzte Dauer stattfindet. Hier ist kein Zurückgehen und nochmaliges Betrachten, keine Wiederholung möglich. Aber allen dreien – Kino, Theater und Ausstellung – ist gemeinsam, dass ein kollektives Erleben stattfindet. Anwesenheit und Reaktionen der anderen BesucherInnen werden wahrgenommen, bestimmte Rituale, wie beispielsweise leises Sprechen, werden eingehalten.
Die Ausstellung „VIELFALT daheim IN TIROL“ ermöglicht dieses Wahrnehmen auf vielen Ebenen und richtet sich bewusst an unterschiedliche Interessen: künstlerische Exponate werden durch wissenschaftliche Texte begleitet, digitale Medien wie Ton- und Videoarbeiten treffen auf analoge wie Bild und Skulptur.
Die Ausstellung als Dialograum
Der Ausstellungsraum ist ein Begegnungsort. Dialoge entstehen auf mehreren Ebenen: zwischen den BesucherInnen, zwischen der BesucherIn und VermittlerIn und jenen, die diesen Ort täglich benutzen, wie beispielsweise den SchülerInnen. Ein Austausch passiert auch anhand der Architektur und der Ausstellungsgestaltung, der Szenografie.
Handlungen brauchen im Raum Rhythmus und Form – die Szenografie beginnt. Denken, Sprache und Interpretation sind das Herzstück und der Anfang jeder szenografischen Arbeit. Der gestalterische Grundsatz des Architekten Louis Sullivan, „form follows function“ (die Form folgt der Funktion), könnte in „form follows content“ (die Form folgt dem Inhalt) umgewandelt werden. Die Form der Ausstellung entwickelt sich aus den zu erzählenden Inhalten. Die Herangehensweise ist interdisziplinär, da dieses Arbeiten Handwerk und theoretisches Wissen, künstlerisches Konzipieren und Entwerfen miteinander verknüpft. Die Szenografie entwickelt Inhalte weiter und übersetzt sie so in Räume, sie macht den Raum zum Erlebnis.
Der Ort und sein Umfeld
Wer nutzt den Raum? Sind es Kinder und Jugendliche, ältere Menschen oder dient der Raum der Gesamtbevölkerung? Die Architektur einer Schule richtet sich an die Bedürfnisse von Heranwachsenden, ein Kunstraum hingegen fordert gute Präsentationsmöglichkeiten. Gibt es ein bauliches Zentrum? Kann die Ausstellung als Rundgang verlaufen oder mehrere Stockwerke miteinbeziehen? Diese Fragen zu räumlichen Gegebenheiten und ihrer Verwendung klären die Ausgangsbedingungen dafür, wie sich der jeweilige Aufbau der Ausstellung gestaltet. Das fordert ein spezifisches Einlassen auf den Ort und sein Umfeld, Gespräche und Beobachtungen bilden dafür den Auftakt.
In einer Schule wurde beispielsweise aufgrund der räumlichen Möglichkeiten mit der Skulptur „Ich bin Da“ von Daniel Praxmarer ein Zentrum geschaffen. Die Reaktionen der Kinder waren sofort spürbar: der Traktor wurde begutachtet, die Baustile diskutiert, die SchülerInnenströme teilten sich durch die Position und die ovale Grundfläche der Arbeit. An einem anderen Ausstellungsort wurden zwei nebeneinander positionierte Bildschirme genutzt. Während auf einem die gewohnten Campusinformationen über den Bildschirm liefen, wurden die Studierenden auf dem zweiten mit der Videoarbeit „Adapter“ von Franz Wassermann konfrontiert.
Die Ausstellungsgestaltung reagierte so auf den jeweiligen Raum, ermöglichte neue Gangarten, störte übliche Wege und ließ ein Verweilen an einem Durchzugsort wie einem Stiegenhaus zu. Auch die Ausstellung selbst bewegte sich, veränderte sich. Sie war zu vielfältigen Räumen unterwegs und wurde selbst zum Begegnungsraum; sie wanderte zu acht Tiroler Gemeinden, von Bildungseinrichtungen zu sozialen Orten, von politischen Räumen zu Kunstorten. Sie traf auf unterschiedliche Generationen, unterschiedliche Bildungsinteressen und ermöglichte, sich mit dem Thema Integration und Migration in Tirol auseinanderzusetzen. Sie schuf Begegnungsorte und lud zum Dialog ein.
Die Ausstellung und ihr Publikum
Damit eine Ausstellung eine gute Ausstellung wird, ist ein Nachdenken über das Publikum wesentlich. Wer könnte eine BesucherIn sein? Mit welchen Vorstellungen kommt sie in die Ausstellung? Um auf verschiedenste Interessen reagieren zu können, war es wichtig eine breite Darstellungspalette von künstlerischen Ausdrucksmitteln zu erreichen. So sind die Disziplinen Malerei, Skulptur, Fotografie, Video und Installation vertreten. Eine weitere Überlegung bezog sich auf den Umgang mit theoretischen Inhalten, Daten und Fakten. Die Aufgabe war, diese Hintergrundinformationen für die Ausstellung verständlich aufzubereiten. Aus diesem Grund wurden die Texte als Impulse verstanden. Eine übersichtliche Präsentation auf handlichen Tafeln, gegliedert in Themenbereiche, lässt die BesucherInnen selbst wählen, was von Interesse ist. An einem ruhigen Ort mit Sitzgelegenheit kann man sie ungestört lesen, Daten und Fakten werden so ebenfalls zu einem sinnlichen Erlebnis.
In als ProtagonistIn
Im Mittelpunkt des Entstehungsprozesses der Ausstellung standen die Menschen; die MigrantInnen, die KünstlerInnen. Die Ausstellung wurde entwickelt, um nicht über Menschen mit Migrationshintergrund zu sprechen, sondern sie selbst sprechen zu lassen. Die MigrantIn hatte die Position der ProtagonistIn, die erzählte, Einspruch erhob. Die KünstlerIn transformierte, übersetzte. Die Sozialwissenschaftlerin beobachtete die Prozesse und thematisierte sie. Die Kunstwerke entstanden auf unterschiedliche Weise, da die Zusammenarbeit in den einzelnen Arbeitsgruppen, bestehend aus MigrantIn, KünstlerIn und Sozialwissenschaflerin, erst ausverhandelt werden musste. Formen und Themen zeichneten sich mit der Zeit ab, die Kunstwerke wurden sichtbar. Meine Arbeit war dadurch von Spontanität und Flexibilität geprägt. Beobachten, hinhören, abwarten, reagieren. Was wird entstehen, wie wird es entstehen, entsteht etwas, hinter dem alle Beteiligten stehen können?
Der Raum und seine Ausstellung
Die Form der Präsentation reflektiert den Inhalt der Ausstellung. Welche Botschaften können transportiert werden, welche Beziehungen gehen räumliche Gegebenheiten wie eine Fensterfassade, eine Lift Tür oder eine Säule mit dem nahestehenden Kunstwerk ein?
Der Raum ist da, beherbergt Menschen und ihre Geschichte. Er hat aus bestimmten Gründen seine architektonische Gestalt erhalten. Diese wurde vielleicht verändert oder blieb gleich. Der Raum wandelt sich immer fort. Die Ausstellung reagiert auf den Raum, besetzt diesen, erweitert seine Geschichte(n) und ermöglicht neue Begegnungen und Dialoge.
So bildete die Lachinstallation von Angela Zwettler stets den Auftakt; sie verbindet den Außenraum mit dem Innenraum der Ausstellung, verweist auf Mobilität und Emanzipation. Sie begleitet die BesucherIn mit einem Lachen als Basis für das Nachdenken und Reflektieren. Die Installation von Emir Handžo, „transparent diversity – durchsichtige vielfalt“, gestaltet einen Raum im Raum. Die BesucherIn kann das Kunstwerk mitgestalten, beispielsweise durch das Beschriften der Röntgenbilder. Ein Entspannungsort und Treffpunkt, wie eine Sitzgruppe im Foyer, erhält durch die ruhige vielschichtige Arbeit „KHANA KHANU JARURI CHA. essen ist wichtig“ von Jeannot Schwartz eine zusätzliche Bedeutung. Bauliche Besonderheiten wie Galerien, lange Fensterfronten oder ein schlichtes Stiegengeländer wurden Präsentationsorte der Fotoarbeit „Ich bin ein Tiroler – Ich bin eine Tirolerin“ von Peter Unterthurner.
Die BesucherIn kann die Ausstellung entlang naturweißer Bahnen erfahren – aus diesen erheben sich Sockeln mit Vitrinen und Monitore, die die Kunstwerke präsentierten. Weiß als Farbe, die alle Farben in der selben Intensität beinhaltet; eine Farbe, auf der Spuren gut sichtbar werden. Die Bahnen sind Netzwerke, Lebenslinien, Anknüpfungen, die auch abrupt enden, unterbrochen werden, sich überlappen oder Lehrstellen aufzeigen, um an anderer Stelle ihre Fortsetzungen zu finden.
Im Ausstellungssujet von Birgit Raitmayr werden die Bahnen der Ausstellung zum Labyrinth und „... stehen für die verschlungenen Wege, über die Menschen zueinander finden, aus Ländern fliehen, ihr Weltbild erweitern, Erkenntnisse gewinnen – die direkten Wege führen sehr oft nicht zum gewünschten Ziel, zur Heimat. Und manchmal ist auch nur der Weg das Ziel und die Heimat ...“ (Birgit Raitmayr)