12. Tiroler Integrationsenquete liefert Impulse für eine konstruktive Gesprächskultur

Enquete unter dem diesjährigen Titel „Leben in der Blase?“ hat zunehmende gesellschaftliche Polarisierung im Fokus

  • Ergebnis der Veranstaltung: Zusammenleben in demokratischem Miteinander nur mit gemeinsamer Basis möglich

„Entweder – Oder“: Debatten werden häufig in Extrembereichen geführt. Das gilt, etwa in Bezug auf die Corona-Pandemie, aktuell mehr denn je. Die Tiroler Integrationsenquete, die heuer bereits zum zwölften Mal stattfand, setzte genau hier an und erörterte im Rahmen von ExpertInnenvorträgen und Diskussionen, was dies für das Zusammenleben bedeutet und was nötig ist, damit ein „Miteinander-ins-Gespräch-kommen“ möglich wird. Das Ergebnis der Enquete: Ein Zusammenleben in demokratischem Miteinander ist nur mit einer gemeinsamen Basis möglich und dazu gehört es auch, die „eigene Blase“ bewusst zu verlassen und in einen Dialog mit anderen zu treten. Veranstaltet wurde die Integrationsenquete, die gestern, Donnerstag, im Landhaus in Innsbruck stattfand, vom Land Tirol, der Stadt Innsbruck, dem Haus der Begegnung der Diözese Innsbruck sowie dem Tiroler Integrationsforum.

„Integration ist ein Thema, das uns alle betrifft: Denn eine gelungene Integration bedeutet lebendige Teilhabe an einer Gesellschaft, die von einem respektvollen Miteinander und einer gemeinsamen Verantwortung geprägt ist. Das diesjährige Schwerpunktthema der Tiroler Integrationsenquete ist daher durchaus passend: Wie im internationalen Diskurs festzustellen ist, tun sich in unserer Gesellschaft nämlich bei vielen Themen – dazu zählen auch Migration und Flucht – Gräben auf. Diese spalten, schließen aus und bewirken damit das Gegenteil von Integration. Wir müssen gemeinsam daran arbeiten, diesen Tendenzen aktiv entgegenzuwirken. Das beginnt im Kleinen und ist gerade in der Politik, die von Kompromissen lebt, der Schlüssel zur Demokratie“, betont Integrationslandesrätin Gabriele Fischer.

„Damit Integration als Miteinander gelingt, braucht es gleichwertige Teilhabe, Begegnungen auf Augenhöhe, die für die Erfahrungen von Zugehörigkeit sorgen. Heimat ist da, wo ich mich einbringen kann, wo ich Teilhabe erlebe und – auch – wo ich wählen darf. Es ist nicht genug, eine Lobby und starke Stimme für die zu sein, die keine (Wahl-)Stimme haben, sondern wir müssen offen dafür eintreten, dass alle, die hier dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt haben, hier arbeiten und Steuern zahlen, auch das Wahlrecht erhalten können. Denn Freiheit erfährt man nur, wenn man partizipieren kann, und ohne diese Möglichkeit ist echte Zugehörigkeit nicht gegeben“, sagt die für Integration zuständige Innsbrucker Stadträtin Elisabeth Mayr.

Begegnung und Dialog als Basis

In drei Vorträgen und anschließenden Diskussionen zu Zugehörigkeit, Begegnungszonen und Kontaktmöglichkeiten, Meinungsfreiheit, Zivilcourage und Partizipation war man sich einig: In einer Demokratie braucht es den Raum und den Mut, um in den Dialog zu treten und damit gemeinsam eine Basis für Übereinkünfte und ein demokratisches Miteinander zu schaffen.

Referentin Lisz Hirn verwies in ihrem philosophischen Vortrag darauf, dass Zugehörigkeit dann entsteht, wenn einem „zugehört“ wird – ein Mensch also eine eigene Stimme hat und diese auch in die Gesellschaft einbringen kann. Die Demokratie bezeichnete sie als die radikale Idee der Gleichheit, mit der auch der Streit gehört zu werden beginnt. Die Politik bettete die Philosophin, Autorin und Dozentin in einen Triangel mit Ethik und Ästhetik ein. Dass die Mittel der Ästhetik, also der „schönen Sprache“, notwendig sind, um seine Stimme überhaupt nutzen zu können, darüber waren sich auch die TeilnehmerInnen in der an den Vortrag anschließenden Diskussion einig. Eine Stimme alleine reicht nicht aus – es braucht auch einen Raum für diese Stimme, so ein weiteres Fazit.

Bastian Berbner, Zeit-Journalist und Autor, zeigte in seinem Vortrag auf, dass es nicht nur ein Entweder – Oder gibt und die meisten Menschen mehr gemeinsam haben, als es auf den ersten Blick scheint. So erzählte der Referent von beispielhaften Begegnungen zwischen Menschen aus entgegengesetzten „Blasen“, die durch ein gegenseitiges Kennenlernen die ursprüngliche Feindseligkeit – zumindest diesen konkreten Personen gegenüber – überwanden. Der These, dass Begegnungsräume Vorurteile abschaffen können, stimmten auch die TeilnehmerInnen zu, wenngleich sie übereinstimmend darauf verwiesen, dass Begegnungen alleine nicht immer ausreichen, sondern auch gemeinsame Ziele notwendig sind. Als Begegnungszonen können Institutionen dienen.

Am Nachmittag schloss an die beiden angeführten ExpertInnenvorträge noch der Beitrag von Hasnain Kazim an. Der Journalist und Autor setze sich aus einer persönlichen Perspektive mit der Frage auseinander, was man eigentlich sagen darf und wo Meinungsfreiheit endet und Hass beginnt. Auch wenn manche Äußerungen im juristischen Sinne von der Meinungsfreiheit gedeckt sind, so sind sie aus menschlicher Perspektive zu verurteilen, so Kazim, der selbst immer wieder Hassnachrichten bekam. Gefährlich sind derartige Worte vor allem, weil davon auszugehen ist, dass ihnen Taten folgen – denn Sprache schafft Wirklichkeit, stimmte auch das Publikum zu. Da gerade Personen in der Öffentlichkeit und auch in politischen Führungspositionen für viele als Vorbilder gelten, braucht es mutige Menschen, die mit einem positiven Beispiel vorangehen und bereit sind, in den Dialog zu treten – so das Fazit der TeilnehmerInnen.

Tiroler Integrationsleitbild

Als Wegweiser für die Gestaltung eines guten Zusammenlebens in Tirol versteht sich das Tiroler Integrationsleitbild, das für Politik, Verwaltung und AkteurInnen der „Integrationslandschaft“ bestimmt ist. 2019 hat das Land Tirol das Integrationsleitbild überarbeitet, wobei bereits die Benennung die neue Sichtweise auf das Thema zum Ausdruck bringt: So ersetzt das „Leitbild zum Zusammenleben in Tirol“ das 2006 erstellte erste Tiroler Integrationsleitbild „Integration MIT Zugewanderten in Tirol“. Das aktuelle Integrationsleitbild hat demnach das Zusammenleben der gesamten Bevölkerung im Kontext der zunehmenden Diversität im Fokus.