Abwassermonitoring Tirol
Tirol misst...
… im Abwasser, wie weit Influenza, SARS-CoV-2 und RSV im Land verbreitet sind – und so funktioniert’s:
Hier finden Sie grafische Darstellungen, die eine Einschätzung der aktuellen Lage sowie der Entwicklungen seit Juli 2021 ermöglichen.
Aktuelle Lage in Tirol
Verbreitung von SARS-CoV-2, Influenza A/B und RSV
Erläuterungen zur obigen Grafik
In diesem Punktdiagramm werden für jedes der untersuchten Pathogene (SARS-CoV-2, Influenza A, Influenza B und Respiratorisches Synzytial-Virus) die in den einzelnen vom Abwassermonitoring Tirol umfassten Regionen beobachteten "Trendindikatoren Abwasser“ (vertikale Achse) gegen die Anzahl der „fiktiven Ausscheider“ (horizontale Achse) aufgetragen. Weitere Informationen zu den beobachteten Regionen sowie zur Auswertung von Poolingproben finden Sie weiter unten.
Je weiter rechts eine Region in dieser Darstellung angeordnet ist, umso höher ist die aktuelle Virenzirkulation unter den Personen – Bevölkerung und Gäste – in dieser Region (ausgedrückt als Anzahl „fiktiver Ausscheider“ pro 10.000 Einwohnerwerte (EW)).
Je weiter oben eine Region in dieser Darstellung angeordnet ist, umso stärker steigen die Belastungswerte aktuell im Einzugsgebiet in dieser Region an. Die strichlierte Horizontale in Höhe des Wertes 1,0 trennt den Bereich der Regionen mit tendenziell steigender Belastung (oberhalb der Horizontalen) vom Bereich der Regionen mit tendenziell sinkender Belastung (unterhalb).
Diese Darstellung wurde von Univ.-Prof. Dr. Herbert Oberacher / Institut für Gerichtliche Medizin (GMI) der Medizinischen Universität Innsbruck (MUI) entwickelt und dem Land Tirol zur Verfügung gestellt.
Das Konzept der „fiktiven Ausscheider“
Für die Abschätzung der Prävalenz im Einzugsgebiet einer Kläranlage verwendet das Abwassermonitoring Tirol das Konzept der „fiktiven Ausscheider“.
Die quantitative Analyse der Abwasserproben ermöglicht die Bestimmung der in der Probe enthaltenen Virenfracht. Aus dieser lässt sich - unter Kenntnis der von einer infizierten Person im Mittel ausgeschiedenen Menge an Viren - die Anzahl der Personen abschätzen, welche im Einzugsgebiet einer Kläranlage Viren ausscheiden. Die so abgeschätzten Personen werden hier als „fiktive Ausscheider“ bezeichnet.
Aufgrund der großen Schwankungsbreite von Literaturwerten wurde für SARS-CoV-2 der Umrechnungsfaktor zwischen gemessener Virenfracht und fiktiven Ausscheidern experimentell durch Korrelation der Abwasserdaten mit der Anzahl der aktiv positiv getesteten Personen im Einzugsgebiet der Kläranlage ermittelt.
Bei anderen Viren (Influenza A, Influenza B und RSV) fehlen verlässliche Zahlen zu den tatsächlich infizierten und erkrankten Personen. Daher sind die dort verwendeten Umrechnungsfaktoren weniger zuverlässig als jener von SARS-CoV-2 und können sich bei Verbesserung der zugrundeliegenden Modelle ändern.
Das Konzept der fiktiven Ausscheider hat folgende Stärken
- Man arbeitet mit einer Kenngröße, deren Zahlenwert im Bereich der Anzahl der aktiv positiv getesteten Personen liegt. Das erleichtert die Lageeinschätzung und ermöglicht den direkten Vergleich mit anderen epidemiologischen Kenngrößen.
- Zeitliche Trends und regionale Unterschiede können sehr einfach abgeleitet werden.
- Regionale Daten können sehr einfach zusammengefasst werden. So können Informationen zu Entwicklungen auch auf Bezirks- und Länderebene generiert werden.
- Die Umrechnung in fiktive Ausscheider kann zur Harmonisierung von Ergebnissen verwendet werden, die von unterschiedlichen Laboren generiert wurden.
Quelle: B. Daleiden, H. Niederstätter, M. Steinlechner, S. Wildt, M. Kaiser, C. Lass-Flörl, W. Posch, S. Fuchs, B. Pfeifer, A. Huber, H. Oberacher: Wastewater Surveillance of SARS-CoV-2 in Austria: Development, Implementation, and Operation of the Tyrolean Wastewater Monitoring Program, Journal of Water and Health (2022).
Trendindikator Abwasser
Die Reproduktionszahl R gibt an, wie viele Personen eine infizierte Person im Durchschnitt ansteckt. Anhand dieses Indikators lässt sich die Dynamik einer Krankheitswelle abschätzen. Bislang basierten die Schätzungen zum aktuellen R-Wert auf klinischen Daten. Schweizer Wissenschaftler haben gezeigt, dass sich das Konzept auch auf die Virenfracht im Abwasser anwenden lässt, um die Dynamik über die Zeit zu verfolgen. Das in der Schweiz entwickelte mathematische Modell wurde für die Auswertung der Ergebnisse aus dem SARS-CoV-2-Abwasser-Monitoring Tirol adaptiert, um Trendindikatoren zu berechnen.
Quelle: J. Huisman, J. Scire, L. Caduff, X. Fernandez-Cassi, P. Ganesanandamoorthy, A. Kull, A. Scheidegger, E. Stachler, A. Boehm, B. Hughes, A. Knudson, A. Topol, K. Wigginton, M. Wolfe, T. Kohn, C. Ort, T. Stadler, T. Julian: Wastewater-based estimation of the effective reproductive number of SARS-CoV-2, medRxiv (2021).
Entwicklungen seit Juli 2021
Erläuterungen zur obigen Grafik
Die Grafik zeigt die Entwicklung für die Summe aller ausgewerteten Tiroler Kläranlagen. Dargestellt sind der Verlauf der Fallzahlen aus den medizinischen Testungen (gelbe Linie; aktiv positive Personen bis 30.6.2023) und - anhand der Auswertung der Proben aus allen beobachteten Tiroler Kläranlagen - die zu erwartende Anzahl an Personen, die SARS-CoV-2-Viren ausscheiden (blaue Linie; fiktive Ausscheider).
In der Regel sind Trends anhand des Abwassermonitorings früher erkennbar als anhand medizinischer Testungen. Zwischen den Anzahlen der aktiv Positiven und der fiktiven Ausscheider zeigen sich naturgemäß Abweichungen. Diese sind unter anderem dadurch begründet, dass die Anzahl der aktiv Positiven vom Verlauf der Testungen abhängt (Anzahl durchgeführter Tests, Ergebnisse der Tests etc.). Außerdem scheidet nicht jede infizierte Person dieselbe Menge an Viren aus.
Für die Interpretation der Grafik sind also die klar erkennbaren Trends wichtig, weniger die absolute Höhe der Werte.
Allgemeine Informationen zum Abwassermonitoring in Tirol
1. Hintergrund
2. Abwassermonitoring und Abwasserepidemiologie - Erläuterungen
2.1 Grundprinzip der Abwasserepidemiologie
2.2 Stärken des Abwassermonitorings
3. Abwassermonitoring Tirol – nähere Informationen
3.1 Abwassermonitoring – aus der Pandemie zur Routine
3.2 Umfang der Probennahme
3.3 Laboranalytik und „fiktive Ausscheider“
3.4 Erweiterung des Analysenumfangs
4. Die Zukunft des Abwassermonitorings in Tirol
5. Leistungen der Tiroler Kläranlagen
6. Projektteam und Autoren
7. Publikationen und internationales Feedback
1. Hintergrund:
Behörden und politische EntscheidungsträgerInnen sind auf zuverlässige und umfassende Informationen über die Verbreitung von SARS-CoV-2, Influenza und RSV in der Bevölkerung angewiesen. Epidemiologische Daten stellen Grundlagen für das frühzeitige Erkennen von Ausbrüchen bereit. Sie unterstützen das Einschätzen der Situation und der Notwendigkeit von Maßnahmen, sie dienen aber auch dem Evaluieren der Wirksamkeit von Maßnahmen zum Bekämpfen der Pandemie.
2. Abwassermonitoring und Abwasserepidemiologie - Erläuterungen:
Abwassermonitoring ist eine anerkannte Methode, die national sowie international Anwendung findet. Ziel des Abwassermonitorings ist es, möglichst frühzeitig Entwicklungen in ganzen Regionen, d.h. in den an eine Kläranlage angeschlossenen Gemeinden zu erkennen und darauf seitens der zuständigen Stellen im Land rasch reagieren zu können. Ein weiterer großer Vorteil des abwasserbasierenden Monitorings besteht darin, dass Entscheidungsgrundlagen gewonnen werden können, ohne in die Privatsphäre einzelner Personen eingreifen zu müssen – ganz nach dem Motto:
„Nicht alle können dauernd getestet werden, aber alle gehen regelmäßig aufs Klo.“
2.1 Grundprinzip der Abwasserepidemiologie:
In der Abwasserepidemiologie werden Informationen über den Lebensstil und den Gesundheitszustand der Personen im Einzugsgebiet einer Kläranlage aus der Analyse von Abwasserproben gewonnen. Substanzen (z.B. Drogen, Genussmittel und Medikamente), aber auch Krankheitserreger gelangen mit menschlichen Ausscheidungen als Teil des Abwassers in die Kläranlagen. Bei SARS-CoV-2, Influenza und RSV erfolgt der Eintrag über den Stuhl. Mittels hochspezifischer und nachweisempfindlicher Analysenverfahren werden die Ausscheidungsprodukte nachgewiesen.
2.2 Stärken des Abwassermonitorings:
- Mittels Abwassermonitoring lassen sich zeitnah Informationen über die örtliche Verteilung und die zeitliche Entwicklung von Infektionen in der Bevölkerung gewinnen.
- Eine Zu- oder Abnahme der Virenzirkulation unter den Personen in einer Region kann über das Abwassermonitoring zumeist drei bis sieben Tage früher als mit anderen Monitoringsystemen erkannt und verfolgt werden.
- In der Regel genügen einige wenige Fälle im Einzugsgebiet einer Kläranlage, um ein Signal anhand des Abwassermonitorings auszulösen.
- Die Abwasserergebnisse korrelieren sehr gut mit den Zahlen des epidemiologischen Meldesystems (siehe Grafik oben).
3. Abwassermonitoring Tirol – nähere Informationen:
3.1 SARS-CoV-2 Abwassermonitoring– aus der Pandemie zur Routine:
Für die tägliche Beurteilung der Lage durch die EntscheidungsträgerInnen des Landes Tirol wurde das SARS-CoV-2-Abwassermonitoring Tirol in der zweiten Jahreshälfte 2020 aufgebaut. Neben dem inhaltlich entscheidenden Hauptakteur, dem Institut für Gerichtliche Medizin (GMI) an der Medizinischen Universität Innsbruck (MUI), tragen von Landesseite insbesondere ExpertInnen der Abteilung Wasserwirtschaft und des Fachbereichs Landesstatistik sowie in der Phase der COVID-19-Pandemie auch IT-ExpertInnen der DVT-Daten-Verarbeitung-Tirol GmbH zum Erfolg dieses Projektes bei.
Das Land Tirol folgt mit seinem Abwassermonitoring nicht zuletzt auch Empfehlungen internationaler ExpertInnen, insbesondere jenen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Diese geben folgende Prinzipien vor:
- Die Gesundheitsbehörden sind für die Organisation und Leitung eines Monitoringprogramms zuständig.
- Aufgabe der Untersuchungseinrichtungen ist es, zeitnah zuverlässige Daten zu liefern und Konzepte für die Interpretation der Rohdaten bereitzustellen.
- Abwasserdaten müssen unbedingt im Kontext mit anderen epidemiologischen Daten von ExpertInnen interpretiert werden.
In ebendiesem Sinn hat die Europäische Kommission die Empfehlung (EU) 2021/472 vom 17.3.2021 über einen gemeinsamen Ansatz zur Einführung einer systematischen Überwachung von SARS-CoV‑2 und seinen Varianten im Abwasser in der EU abgegeben. Darin wurden die Mitgliedstaaten
„nachdrücklich aufgefordert, so bald wie möglich, spätestens jedoch bis zum 1.10.2021 ein nationales Abwasserüberwachungssystem einzurichten, das auf die Erhebung von Daten über SARS-CoV‑2 und seine Varianten im Abwasser abzielt“.
Das Land Tirol erkannte den Wert des Abwassermonitorings schon sehr früh und erfüllte mit seinem SARS-CoV‑2-Abwassermonitoring bereits ein Jahr vor der Veröffentlichung der Empfehlung der Europäischen Kommission die dort formulierten Vorgaben.
Im Jänner 2022 wurde vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) in Umsetzung der genannten Empfehlung der Europäischen Kommission ein nationales SARS-CoV-2-Abwassermonitoring in Betrieb genommen. In diesem Rahmen wurde das Institut für Gerichtliche Medizin (GMI) an der Medizinischen Universität Innsbruck (MUI) mit den Aufgaben der österreichischen Referenzzentrale betraut. Zunächst wurden drei Regionen, seit Herbst 2022 werden insgesamt sechs Regionen in Tirol zusätzlich zum Abwassermonitoring Tirol auch auf nationaler Ebene beobachtet.
Nach über drei Jahren Pandemie endeten in Österreich mit Ablauf des 30. Juni 2023 alle Corona-Maßnahmen. Um trotz Wegfall der Meldepflicht für SARS-CoV-2-Erkrankungen auch weiterhin ein entsprechendes Level an Surveillance aufrecht zu erhalten, wird das Abwassermonitoring Tirol in adaptierter Form weiter betrieben.
3.2 Umfang der Probennahme:
Seit November 2020 wurden die Abwässer von 43 Tiroler Kläranlagen regelmäßig auf das Vorhandensein von SARS-CoV-2-Viren untersucht. Damit konnten 99 Prozent aller Personen, die sich in Tirol aufhalten (Bevölkerung und Gäste), hinsichtlich der möglichen Infektion mit dem COVID‑19‑Virus beobachtet werden.
Während der Pandemie (November 2020 bis Juni 2023) wurde von den 43 beobachteten Tiroler Kläranlagen eine täglich beprobt, 12 Anlagen fünfmal pro Woche (Sonntag bis Donnerstag) und 30 Anlagen zweimal pro Woche (jeweils Sonntag und Dienstag oder Montag und Mittwoch). Mit Ende Juni 2023 reduzierte sich die Anzahl der beobachteten kommunalen Tiroler Kläranlagen auf 42, nachdem vom Betreiber einer Kläranlage die freiwillige Kooperation mit dem Land Tirol eingestellt worden war. Die quantitative Aussagekraft des Abwassermonitoring Tirol bleibt aber – trotz des Entfallens von Informationen über dieses Kläranlagen-Einzugsgebiet – praktisch unberührt.
Im Sinne eines an die aktuellen Lage angepassten Kosten-Nutzen-Verhältnisses reduzierte das Land Tirol mit August 2023 die Beprobungsfrequenz bei allen Kläranlagen auf einmal pro Woche, nur die sechs Kläranlagen, die auch Teil des nationalen Monitoringprogramms sind, werden weiterhin zweimal pro Woche beprobt.
3.3 Laboranalytik und „fiktive Ausscheider“:
In Zusammenarbeit zwischen dem Land Tirol, dem Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck und den beteiligten Kläranlagen wurden – beginnend im Frühjahr 2020 – geeignete Arbeitsabläufe für den Nachweis von SARS-CoV-2-RNA im Abwasser etabliert. Die Probennahme erfolgt in den Kläranlagen. Die mengenproportionalen Tagesmischproben werden noch am Tag der Probennahme gekühlt ins Labor transportiert.
Dort erfolgt eine aufwändige Probenvorbereitung. Die in 50 Milliliter Abwasser enthaltenen Viren werden mittels eines mehrstufigen Aufreinigungs- und Extraktionsverfahrens aus dem Abwasser isoliert und in 100 Mikroliter aufkonzentriert. Der eigentliche Nachweis erfolgt mittels Reverse-Transkriptase-Quantitative-Polymerase-Kettenreaktion (RT-qPCR) entsprechend den Vorgaben des U.S. Centers for Disease Control and Prevention (CDC).
Während der Pandemie (November 2020 bis Juni 2023) wurden alle gezogenen Abwasserproben generell einzeln ausgewertet.
Mit den Anpassungen zum 1. August 2023 wurde das Abwassermonitoring für den Basisbetrieb auf die Auswertung von Poolproben umgestellt. Dabei werden die Abwasserproben aus jeweils zwei bis vier benachbarten Kläranlagen-Einzugsgebieten zu einer repräsentativen Mischprobe für diese Region vereint und diese Proben der weiteren Auswertung unterzogen. Durch dieses Pooling reduziert sich die Anzahl der in der Regel auszuwertenden Proben von 42 auf 19. Die insgesamt erreichte, vollständige Abdeckung (99 Prozent der Abwässer aller Personen in Tirol) bleibt dabei unverändert.
Im Anlassfall können bei Bedarf die Proben einzelner Kläranlagen innerhalb eines Pools nachträglich zusätzlich einer individuellen Auswertung unterzogen werden.
Aus der gemessenen Viruskonzentration leiten die Experten des Instituts für Gerichtliche Medizin unter Berücksichtigung der im Probenahmezeitraum gemessenen Abwassermenge jene Menge an SARS-CoV-2 ab, die pro Tag durch alle Personen in der beobachteten Region ausgeschieden wird. In Verbindung mit Daten über die pro Infiziertem durchschnittlich ausgeschiedene Menge an Viren wird in der Folge die Zahl der in der Region anwesenden Ausscheider näherungsweise ermittelt („Anzahl der fiktiven Ausscheider“). Dazu sind auch Daten über den allgemein abwassertechnisch relevanten Grad der Abwasserbelastung erforderlich. Diese Daten werden vom Betriebspersonal der mitarbeitenden Kläranlagen im Rahmen der wasserrechtlich erforderlichen Eigenüberwachung ermittelt. Die zugehörigen Messwerte stellen die MitarbeiterInnen der Kläranlagen am Tag der Probenabholung für das Abwassermonitoring Tirol online bereit.
Je nach epidemiologischer Lage und Dringlichkeit stehen die Ergebnisse der Analysen inklusive Auswertungen aus dem Abwassermonitoring Tirol den EntscheidungsträgerInnen des Landes Tirol spätestens 36 Stunden nach Eintreffen der Proben am Institut für Gerichtliche Medizin zur Verfügung.
In der Regel sind Trends anhand des Abwassermonitorings früher erkennbar als anhand medizinischer Testungen. Zwischen der Anzahl der aktiv Positiven und der Anzahl der fiktiven Ausscheider zeigen sich naturgemäß Abweichungen. Diese sind unter anderem dadurch begründet, dass die Anzahl der aktiv Positiven vom Verlauf der Testungen abhängt (Anzahl durchgeführter Tests, Ergebnisse der Tests etc.). Außerdem scheidet nicht jede infizierte Person dieselbe Menge an Viren aus.
Für die Interpretation der Daten sind vor allem die klar erkennbaren Trends wichtig, weniger die absolute Höhe der Werte.
Die Daten aus dem Abwassermonitoring Tirol fließen in regelmäßige Prognoserechnungen des Landesinstituts für Integrierte Versorgung Tirol der Tirol Kliniken (LIV) ein und ermöglichen einen wichtigen detaillierten Blick in die Zukunft. Das Abwassermonitoring Tirol leistet damit einen wesentlichen Beitrag zur fundierten Einschätzung der weiteren Entwicklung der Virenzirkulation unter den Menschen im Land und möglicher Auswirkungen auf das Gesundheitssystem.
3.4 Erweiterung des Analysenumfangs
Im Rahmen des Tiroler Abwassermonitoringprogramms werden regelmäßig Proben von 42 Tiroler Kläranlagen gesammelt und ausgewertet. Die Abwasserproben sowie daraus hergestellte Extrakte enthalten eine Vielzahl an Komponenten, die direkt oder indirekt Auskunft über die epidemiologische Lage geben können. Die Extrakte wurden zunächst ausschließlich zur Beobachtung der Verbreitung von SARS-CoV-2 in der Bevölkerung genutzt, womit nur ein Teil der in den Proben enthaltenen Information ausgelesen wurde. In der Wintersaison 2023/24 wurde im Rahmen eines vom österreichischen Sicherheitsforschungsprogramm KIRAS geförderten Projektes die Erweiterung des Monitoringumfangs um Influenza A, Influenza B und um das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) erfolgreich erprobt. Ab der Wintersaison 2024/25 wird das erweiterte Monitoring regelmäßig durchgeführt.
4. Die Zukunft des Abwassermonitorings in Tirol:
Das SARS-CoV-2-Abwassermonitoring Tirol hat sich seit den ersten Schritten im Jahr 2020 und insbesondere seit Aufnahme des praktisch flächendeckenden Regelbetriebs Mitte November 2020 als Warnsystem für die EntscheidungsträgerInnen des Landes hervorragend bewährt. Das Institut für Gerichtliche Medizin und das Land Tirol haben hier innerhalb Österreichs, aber auch darüber hinaus eine Vorreiterrolle übernommen und Entwicklungsarbeit geleistet. Das Tiroler Projektteam verfolgt aber natürlich auch weiterhin die nationalen sowie internationalen Entwicklungen in diesem Bereich bzw. die Tiroler ExpertInnenen beteiligen sich aktiv daran.
Der Einsatz des Abwassermonitoring Tirol soll sich in Zukunft nicht nur auf den Nachweis von Viren beschränken. Dieses bewährte Surveillancesystem wird nach Beurteilung durch die für das Gesundheitswesen im Land Tirol Zuständigen bei Bedarf auf andere Krankheitserreger sowie Drogen, Medikamente und andere Chemikalien ausgeweitet.
5. Leistungen der Tiroler Kläranlagen:
Ohne das professionelle Mitwirken der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter auf den kommunalen Tiroler Kläranlagen würde dem Abwassermonitoring Tirol die entscheidende Grundlage fehlen: die Probenahme erfolgt im Rahmen der Eigenüberwachung der Tiroler Kläranlagen - verlässlich und gesichert, Tag für Tag. Außerdem messen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Kläranlagen zusätzlich Parameter, die für die Auswertungen notwendig sind. Diese Messwerte werden dem Land Tirol automatisch digital übermittelt und gemeinsam mit den Ergebnissen aus dem Labor des Instituts für Gerichtliche Medizin verarbeitet.
Dabei stellt das einheitliche digitale Tiroler Kläranlagen-Betriebsprotokoll (DIGIPROT) eine äußerst hilfreiche Grundlage dar. Es wurde im Jahr 1996 im Rahmen eines – ebenfalls österreichweit beispielhaften - Pionierprojektes von der Wasserwirtschaft des Landes Tirol mit allen Tiroler Kläranlagen gemeinsam in Betrieb genommen. Bereits im Jahr 2014 wurde DIGIPROT in eine Online-Anwendung, das Kläranlagenportal, übergeführt und ermöglicht so auch einen reibungslosen Datenfluss von den Kläranlagen zum Land Tirol für das Abwassermonitoring Tirol.
Das Betriebspersonal der kommunalen Abwasserentsorgungsanlagen im Land leistet nicht nur in Pandemie-Zeiten, sondern generell und rund um die Uhr Hervorragendes zum Wohle aller Menschen im Land wie auch im Sinne des Umweltschutzes: durch den anspruchsvollen, verantwortungsbewussten Betrieb der Kanäle und der Kläranlagen in Tirol schützen sie das Land nicht zuletzt auch vor zusätzlichen hygienischen und gesundheitlichen Risiken.
6. Projektteam und Autoren
Univ.-Prof. Dr. Herbert Oberacher
Institut für Gerichtliche Medizin
Medizinische Universität Innsbruck
Webseite der Gerichtsmedizin Innsbruck
Webseite der Bioanalytical Mass Spectrometry Group
Mag. Manfred Kaiser
Abteilung Raumordnung und Statistik
Fachbereich Landesstatistik
Amt der Tiroler Landesregierung
Dr. Stefan Wildt
Abteilung Wasserwirtschaft
Fachbereich Siedlungswasserwirtschaft
Amt der Tiroler Landesregierung
IT-Umsetzung
Landesinstitut für Integrierte Versorgung Tirol (LIV)
DIGILOG Fimml & Osl OG, Kirchbichl: DIGIPROT und Kläranlagenportal (Entwicklung und Betrieb)
7. Publikationen und internationales Feedback
SARS-CoV-2-Abwasser-Monitoring in Österreich: Entwicklung, Anwendung und Betrieb des SARS-CoV-2-Abwasser-Monitoring Tirol:
Originaltitel: Wastewater surveillance of SARS-CoV-2 in Austria: development, implementation, and operation of the Tyrolean wastewater monitoring program
Autoren: Beatrice Daleiden; Harald Niederstätter; Martin Steinlechner; Stefan Wildt; Manfred Kaiser; Cornelia Lass-Flörl; Wilfried Posch; Stefan Fuchs; Bernhard Pfeifer; Andreas Huber; Herbert Oberacher
publiziert in Journal of Water and Health (2022)
Signale aus dem Abwasserrohr. Virus-Konzentrationen im Abwasser zu messen kann helfen, die Pandemie im Auge zu behalten. Aber wie hilfreich ist das?
Originaltitel: Signals from the sewer. Measuring virus levels in wastewater can help track the pandemic. But how useful is that?
Autorin: Gretchen Vogel
publiziert in: Science; Vol. 375 issue 6585 (2022)
Auszug aus dem Inhalt:
Anfang März 2022, zwei Jahre nachdem die Weltgesundheitsorganisation (WHO) den COVID-19-Ausbruch zur Pandemie erklärt hat, wurde im internationalen wissenschaftlichen Magazin „Science“ eine Reihe von Berichten aus Anlass von „2 Jahren COVID-19“ veröffentlicht. Einer dieser Berichte beschäftigt sich mit Abwasser-Monitoring-Aktivitäten auf internationaler Ebene.
Zunächst wird auf die Situation in Ischgl im März 2020 Bezug genommen. Anschließend attestiert die Autorin den Tiroler Behörden und Wissenschaftlern aber eine Vorreiter-Rolle im Zusammenhang mit dem SARS-CoV-2-Abwasser-Monitoring: sie waren unter den Ersten, die das SARS-CoV-2Abwasser-Monitoring in der Praxis einsetzten und gesundheitspolitische Entscheidungen unter anderem auf die Daten aus dem Abwasser-Monitoring stützten. Gerade für das Tourismusland Tirol ist es für die Behörden besonders wichtig, Signale für das Ansteigen oder Abflachen von Infektionswellen möglichst früh zu erkennen, um zeitgerecht, zielorientiert und effizient Schutzmaßnahmen zu setzen oder auch zu lockern.
Anerkannt wird im Science-Artikel weiters, dass die Tiroler Themenführerschaft beim Abwasser-Monitoring auch beispielgebend für das Nationale Abwasser-Monitoring in Österreich war. (sh. Pkt. 3 oben: Das Team um Univ.-Prof. Dr. Oberacher, Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck, wickelt inzwischen als österreichische Referenzzentrale auch dieses Nationale Abwasser-Monitoring im Auftrag des Gesundheitsministeriums (BMSGPK) ab.)
Hier finden Sie den Originalbericht in „Science".
An dieser Stelle sei auch erwähnt, dass Informationen aus internationalen Online-Meetings, organisiert durch Vertreter der Europäischen Kommission / DG Joint Research Centre, den Tiroler Weg beim SARS-CoV-2-Abwasser-Monitoring klar bestätigen, insbesondere den gewählten Ansatz einer sehr effizienten Struktur zwischen Entscheidungsträger*innen des Landes Tirol, Wissenschaft (hier Institut für Gerichtliche Medizin der Medizinischen Universität Innsbruck), Landesverwaltung und Betreibern der kommunalen Tiroler Kläranlagen.
Letzte Änderung dieses Eintrags: 19.11.2024