Archivglossar - V
Vaterländische Front
Mit der Vaterländischen Front versuchten das Regime unter Bundeskanzler Dr. Engelbert Dollfuß und der von ihm initiierte autoritäre Ständestaat, der gegen eine ins politische Abseits abgedrängte Sozialdemokratie und einen aggressiven, mit Terror arbeitenden Nationalsozialismus anzukämpfen hatte, sich in den eigenen Reihen einer vom Faschismus angekränkelten Heimwehr zu erwehren hatte, sich eine Massenbasis zu schaffen, ihre Anhänger und Symphatisanten zu mobilisieren. Weniger inhaltlich als organisatorisch standen dabei das faschistische Italien und das nationalsozialistische Deutschland mit ihren Massenparteien, die sich als Bewegungen begriffen, als Vorbild vor Augen. Im Mai 1933 rief Dollfuß die Vaterländische Front ins Leben, konzipiert als Art Dachverband für alle "vaterländisch gesinnten" Verbände und Gruppen. Als 1934 mit dem Aufbau eines berufsständisch organisierten Staates begonnen wurde, war die Vaterländische Front als eines der Mittel zum Zweck ausersehen. Sie wurde zur Monopolorganisation ausgestaltet, die allein für die politische Willensbildung und die Artikulation nach außen zuständig war. In der Realität war sie ein Mittel der Lenkung und der Kontrolle, eine mit der autoritär regierenden Staatsspitze eng verzahnte Organisation, die den Zwangsbeitritt forcierte. Obgleich die Vaterländische Front auf Grund ihrer Mitgliederzahl die mit Abständ größte Organisation war, die Österreich je gesehen hatte (Ende 1937 zählte sie an die 3 Millionen Mitglieder), verfehlte sie ihr Ziel, dem Regime den gewünschten Rückhalt im Volk zu verschaffen. Organisatorisch gruppierte sich die Vaterländischen Front um die sogenannte Gebietsorganisation, wobei einiges der NSDAP abgeschaut war: Einer Bundesleitung mit einem Generalsekretariat als Exekutivorgan unterstanden 9 Landesleitungen in den Bundesländern, diesen wiederum Bezirksleitungen, darunter formierten sich die Ortsleitungen, ganz unten die Zellenleitungen. Neben der Gebietsorganisation wurde eine mit ihr verwobene berufsständische Organisation aufgebaut: die Dienststellenorganisation für die Bediensteten des öffentlichen Dienstes, die Betriebsstellenorganisation für Arbeitgeber und Arbeitnehmer privater Unternehmen, der Bauernbund für die Land- und Forstwirtschaft usw. 1934 oder 1935 wurde die "Soziale Arbeitsgemeinschaft" gegründet. Ihre Aufgabe sollte es sein, die Arbeiterschaft an die Vaterländische Front heranzuführen und ihre Interessen zu vertreten. Das 1937 eingerichtete "Volkspolitische Referat" war der unglückliche und gescheiterte Versuch, die "nationalen" Kreise, die verbotenen Nationalsozialisten, in die Vaterländischen Front eizubinden. Auch eine eigene Streitmacht wurde 1936 mit der "Frontmiliz" geschaffen. Diese hatte für kurze Zeit eine Monopolstellung, weil zugleich alle anderen noch bestehenden Wehrverbände (Heimwehr, Ostmärkische Sturmscharen usw.) aufgelöst wurden. Diese freiwillige Miliz wurde im Jahr darauf zu einem Bestandteil der bewaffneten Macht umfunktioniert und dem Landesverteidigungsministerium unterstellt. Weiters wurden eine Reihe von Unterorganisationen eingerichtet: Mutterschutzwerk, Kinderferienwerk, Österreichisches Jungvolk und Neues Leben. Der "Österreichische Arbeitsdienst" war ab 1935 der Vaterländischen Front eingegliedert. Ende Juli 1936 zählte die Vaterländische Front in Tirol 19 Bezirke und 306 Ortsgruppen mit 122.376 Mitgliedern. Somit gehörte jeder dritte Tiroler (35% der Bevölkerung) der Vaterländischen Front an. Ihr Landesleiter oder Landesführer war der Innsbrucker Kaufmann und christdemokratische Politiker Dr. Ernst Fischer (1891-1978).
Verfachbuch
Im weiteren Sinne sind Verfachbücher buchförmige Aufzeichnungen über die richterliche Tätigkeit bei den Gerichten in Tirol (Straf- und Zivilprozesse, freiwillige Gerichtsbarkeit). Bereits im 17. Jahrhundert verengt sich die Funktion der Verfachbücher bei den meisten Gerichten auf die freiwillige Gerichtsbarkeit: Verlassenschafts- und Vormundschaftsabhandlungen, vor allem das Errichten von Verträgen über Rechtsgeschäfte von Privatpersonen. Gegen Ende des 18. Jahrhunderts wurde das Verfachbuch in Tirol zum gesetzlichen Provisorium für das Grundbuch eingesetzt, das in Nachfolge der (Land)gerichte ab 1868 die Bezirksgerichte zu führen hatten. Erst 1897 beschloß der Tiroler Landtag, in Tirol das Grundbuch einzuführen. Sukzessive wurde in den Gerichtsprengeln der Bezirksgerichte vom Verfachbuch mit Hilfe des Grundbuchanlegungsprotokolls auf das Grundbuch umgestellt. Zum Teil zog sich dieser Umstieg wegen der Grundzersplitterung und wegen Rechtsstreitigkeiten über Jahrzehnte hin. Weil das Verfachbuch völlig anders angelegt ist als das Grundbuch (das Verfachbuch ähnelt einer jährlich abgeschlossenen Urkundensammlung für den gesamten Gerichtsbezirk), empfiehlt sich bei Nachforschungen der Einstieg über das beim Bezirksgericht aufliegende Grundbuch. Der erste Eintrag im B-Blatt des Grundbuches verweist auf einen Vertrag im Verfachbuch (Jahreszahl und Seitenzahl des Verfachbuches) oder im Grundbuchanlegungsprotokoll (Katastralgemeinde und Post-Nummer). Hinsichtlich der Grundentlastung 1848/49 und der Servitutenregulierung existieren meist eigene Ableger des Verfachbuches: Grundentlastungsprotokoll (Verfachbuch II) und Servitutenregulierungsprotokoll (Verfachbuch III).
Vogtei
Der Vogt ist im Mittelalter der weltliche (adelige) Vertreter und Sachwalter einer kirchlichen Institution, der diese in weltlichen Angelegenheiten, vor allem vor Gericht, vertritt. Besaß eine solche kirchliche Anstalt die Hoch- oder Blutgerichtsbarkeit, der Bischof eines Bistums etwa, so hatte sie der aus dem Hochadel stammende Vogt auszuüben. Der Vogt hatte überdies militärischen Schutz zu bieten. Durch die Vogtei, dem Inbegriff aller Rechte eines Vogtes, gewann dieser Einfluss auf den weltlichen Besitz und die weltlichen Rechte einer Kirche, der ihr gefährlich werden konnte. Die Vogtei war ein wichtiges Element in der Ausbildung adeliger Landesherrschaft, auch in Tirol, wo die Grafen von Tirol, in der Kombination mit der Grafengewalt die Bistümer und Hochstifter Brixen und Trient und zahlreiche Klöster bevogteten. Im Mittelalter war die Vogtei zweifellos ein wichtiges Rechtsinstitut und Machtmittel. Damals trachteten die Landesfürsten danach, die kirchlichen Anstalten in ihrem Einflussbereich – Bistümer, Klöster und Pfarren – und deren Landbesitz unter ihre Schutzherrschaft zu bringen. Damit sicherten sie sich den Zugriff auf die Grundholden geistlicher Grundherrschaften und belegten deren Höfe, schließlich musste das Ausüben der Schutzrechte finanziert werden, mit einer Vogteiabgabe. Sobald es gelungen war, wobei eben die skrupellos eingesetzte Vogteigewalt ein wesentliches Machtinstrument war, ein Land als hoheitliches Territorium aufzubauen und als Staat zu konsolidieren, der ohnehin allen Bewohnern Sicherheit, Schutz und Rechtsfrieden zu garantieren hatte, wurde die Vogtei praktisch funktionslos. Und das war seit dem Spätmittelalter der Fall. Trotzdem hielten sich die Vogteiabgaben. Die betroffenen Bauern, die kirchlich-grundherrschaftlichen Höfe innehatten, trugen mit dem Vogteizins eine zusätzlicheLast, die dem Grundzins nicht viel nachstand, zumal der Vogteizins oft ein Naturalzins blieb. Die Vogtei wurde 1848/49 im Zuge der Grundentlastung aufgehoben und die Vogteiabgaben wurden gegen Entschädigung abgelöst.
Volksgericht
Volksgerichte waren 1945 geschaffene Sondergerichte der österreichischen Justiz. Aufgetragen war den Volksgerichten nationalsozialistische Straftaten nach dem Verbotsgesetz (führende Funktion in der NSDAP und in ihren Organisationen, Hochverrat am österreichischen Volk) und vor allem nach dem Kriegsverbrechergesetz (Kriegsverbrechen im engeren Sinne, Kriegshetzerei, Quälerei und Misshandlung, Verletzung der Menschlichkeit, Vertreibung aus der Heimat (Deportation), missbräuchliche Bereicherung (Arisierung), Denunziation usw.) zu verfolgen. Die Volksgerichte, besetzt mit zwei Berufsrichtern und drei Schöffen, wurden 1955 abgeschafft, das Kriegsverbrechergesetz aufgehoben. Das Volksgericht Innsbruck, zuständig für Tirol und Vorarlberg, nahm seine Tätigkeit im Mai 1946 auf. Zwischen 1946 und 1955 wurden über 13.000 Verfahren eingeleitet, wovon aber die Masse wegen Geringfügigkeit der Vergehen oder mangels Beweisen eingestellt wurde. Gegen 1.932 Personen erhob die Staatsanwaltschaft Anklage. Ein Urteil gefällt wurde über 1.347 Personen, wovon 307 frei- und 1.040 schuldig gesprochen wurden. Die Strafverfahrensakten des Volksgerichts Innsbruck bilden keinen eigenen Bestand, sie sind in die Vr-Akten des Landesgerichts Innsbruck integriert.