Besitzgeschichte
Am Anfang stehen meist Fragen wie: Seit wann besitzt unsere Familie diese Liegenschaft? Hat auch der Nachbar ein Wasserrecht oder ein Durchfahrtsrecht? Um solche besitzgeschichtlichen Fragen beantworten zu können, müssen das Grundbuch und - als dessen Vorläufer - die Verfachbücher herangezogen werden. Das Grundbuch (einschließlich dessen Urkundensammlung) liegt beim jeweils zuständigen Bezirksgericht auf. Die ehemals von den Bezirksgerichten geführten Verfachbücher hingegen, die in Tirol bis in das frühe 20. Jahrhundert die Funktion des Grundbuchs zu erfüllen hatten, werden für das Bundesland Tirol geschlossen im Tiroler Landesarchiv aufbewahrt. Das Grundbuch ist aufgebaut nach Katastralgemeinden, innerhalb einer Katastralgemeinde nach Einlagezahlen. Die Verfachbücher sind hingegen ganz anders strukturiert: Sie entsprechen einer Jahr für Jahr angelegten Urkundensammlung, die zu Büchern zusammengebunden worden ist. Im Tiroler Landesarchiv werden weiters die Grundbuchanlegungsprotokolle der Bezirksgerichte verwahrt, die dazu gedient haben, den Umstieg vom System des Verfachbuchs auf das des Grundbuchs zu ermöglichen.
Der Trend zur Familienforschung ist mit der Besitzgeschichtsforschung eng verknüpft. In den allermeisten Fällen können die gesuchten alten Urkunden (Erbverträge, Grundstückskäufe, Erbabhandlungen oder Gütertausch) in den Verfachbüchern gefunden werden.
Zur methodischen Vorgangsweise bei der Haus- und Hofgeschichtsforschung soll folgender Leitfaden dienen: Eine besitzgeschichtliche Recherche muss immer beim Grundbuch ansetzen. Bevor wir also das Tiroler Landesarchiv aufsuchen, fragen wir in der Grundbuchsabteilung des zuständigen Bezirksgerichtes nach unserer Katastralgemeinde (KG). Als Suchbeispiel nehmen wir einen Hof mit der Einlagezahl (EZl.) 90.016 in der KG Kirchdorf (Bezirksgericht Kitzbühel). Dieser ist im alten Grundbuch unter der Einlagezahl 16/I verbüchert. Vom Grundbuchführer erhalten wir den großen schweren Lederband. Dort sind ca. 20 Höfe eingetragen. Rechts unten steht die Einlagezahl 16/I eingestempelt. Wir blättern unter dieser Einlagezahl weiter und finden am so genannten B-Blatt alle Eigentümer der letzten hundert Jahre. Von Generation zu Generation ist jede Besitzveränderung dieses Hofes vom Vater, Großvater, Urgroßvater usw. eingetragen. Im Grundbuch des Bezirksgerichts Kitzbühel reichen die Verträge bis 1910 zurück. Der älteste Besitzübergang am B-Blatt verweist auf den Erwerbstitel des Vorbesitzers. Also wann und wie der Vorgänger den Hof übernommen hat: z.B. durch Einantwortung vom 21. April 1896, Folio 2282.
Die Grenzjahre zwischen Verfachbuch und Grundbuch sind von Gericht zu Gericht recht unterschiedlich und umfassen eine Zeitspanne von über 30 Jahren. Als erste Bezirksgerichte stellten Schwaz, Innsbruck, Imst, Steinach und Lienz bald nach der Wende vom 19. zum 20. Jh. um. Die Grundbücher der Gerichte Nauders, Ried, Zell a. Z. und Fügen folgten erst 1932/33. Alle Urkunden vor diesen Grenzjahren sind also in den Verfachbüchern im Tiroler Landesarchiv zu finden.
Der älteste Hinweis am B-Blatt dient als Einstieg, um im Tiroler Landesarchiv die Einantwortung vom Kirchdorfer Hof im Verfachbuch Kitzbühel aus dem Jahre 1896 auf dem Blatt (Folio) 2282 zu finden. Nur mit diesem Zitat können die weiteren Vorverträge und Urkunden dieses Hofes im Tiroler Landesarchiv gefunden werden. In jeder älteren Besitzurkunde wird hingewiesen, wann und wie (Erwerbstitel) der Erblasser, Verkäufer oder Übergeber in den Besitz seiner Liegenschaft gekommen ist. So können wir - mit der Haus- und Hofgeschichtsforschung uns systematisch von Besitzgeneration zu Besitzgeneration vorarbeitend - in manchen Landgerichten bis in das 16. Jahrhundert zurückkommen.
Bei allfälligen Überlieferungslücken sind für die Zeit vor 1848 auch die Abgabenverzeichnisse (Urbare) der Grundherrschaften eine wertvolle Ergänzung. Denn die geistlichen und weltlichen Grundherren verzeichneten alle ihre Grundholden (Hofbesitzer), um den jährlichen Grundzins einzufordern. Wechselte ein Hausbesitzer, so wurde sein Name im Urbar korrigiert. Weitere wichtige Quellen sind die Grundsteuerkataster, die seit 1627 neben dem Hof auch alle Grundstücke und Flurnamen dokumentieren. Auch die Transportobücher, Getreidebeschreibungen, Feuerstättenverzeichnisse und vor allem die kirchlichen Matrikenbücher sind für die Besitz- und Besitzergeschichte eine wertvolle Ergänzung.
In Übersicht sind die Verfachbücher der Gerichte und Bezirksämter und in deren Nachfolge die Verfachbücher sowie die Grundbuchanlegungsprotokolle der 1868 eingerichteten Bezirksgerichte (BG) aufgelistet.
Für die Verleihung des Titels "Erbhof" und andere damit zusammenhängende Angelegenheiten ist die Abteilung Repräsentationswesen des Amtes der Tiroler Landesregierung zuständig, die auch Informationen über Antragstellung, gesetzliche Grundlagen sowie eine Liste aller Erbhöfe Tirols nach Gemeinden zusammengestellt hat.
Literaturhinweise:
Sebastian Hölzl: Wie entsteht eine Hof- und Familienchronik, in: Tiroler Erbhöfe, Bd. 14, S. 49-60. Innsbruck 1996.
Sebastian Hölzl: Wie schreibt man eine Hofgeschichte, in: Tiroler Heimatblätter, Heft 4 (1982), S. 125-132.
Sebastian Hölzl: Die Erstellung einer Hof- und Familienchronik, in: Fernschule der Landwirtschaft (LFI), Bd. 9, 1995.