Welche Rolle hatte die Polizei im Reichsgau Tirol und Vorarlberg in der NS-Zeit zwischen 1938 und 1945? Wie wurde nach 1945 politisch und juristisch mit den Taten der Polizei umgegangen? Antworten auf diese und weitere Fragen soll das Forschungsprojekt „Die Polizei im Reichsgau Tirol und Vorarlberg“ bringen. Die Gesamtkosten des auf vier Jahre angelegten Projekts belaufen sich auf 300.000 Euro. Bis zu 100.000 Euro davon trägt das Land Tirol, weitere 100.000 Euro trägt das Bundesministerium für Inneres, die restlichen Kosten werden durch Beiträge des Landes Vorarlberg und der Stadt Innsbruck abgedeckt. Die Ergebnisse werden in einer Monographie bzw. in einem Sammelband publiziert. Umgesetzt wird das Projekt vom Institut für Zeitgeschichte der Universität Innsbruck, die Projektleitung hat Peter Pirker inne.
Mitauslöser für das Forschungsprojekt war das vom Bundesministerium für Inneres initiierte Projekt „Die Polizei in Österreich: Brüche und Kontinuitäten 1938–1945“, mit dem sich das Innenministerium als erstes Ressort offen seiner NS-Vergangenheit stellte. Mit den Projektpartnern der Universität Graz, dem Ludwig-Boltzmann-Institut für Kriegsfolgenforschung, dem Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstands und dem Mauthausen Memorial wurden in den Jahren 2021 bis 2023 erstmals die Archive des Bundesministeriums für Inneres und der Landespolizeidirektionen in ganz Österreich geöffnet. „Die Auseinandersetzung mit der eigenen polizeilichen Geschichte bildet die Grundlage für eine moderne und verantwortungsbewusste Polizei. Ich freue mich daher, dass aufbauend auf unsere Forschungsaktivitäten nun ein Folgeprojekt diese wichtige Arbeit auf regionaler Ebene fortsetzt“, so Bundesminister Gerhard Karner.
„Die zeitgeschichtliche Forschung hat gezeigt, dass Polizei und Gendarmerie vom NS-Regime rasch vereinnahmt und zu einem Instrument der verbrecherischen NS-Politik wurden. Das Archiv der Landespolizeidirektion Tirol wird derzeit erschlossen und bietet eine bislang unbekannte Fülle an Dokumenten, die zur Aufarbeitung der Polizeiarbeit während der NS-Herrschaft beitragen sollen. Die kritische Auseinandersetzung mit unserer Vergangenheit, insbesondere mit der Zeit des Nationalsozialismus, ist ganz wesentlich, denn nur durch Aufklärung und Wissen kann sich unsere Gesellschaft weiterentwickeln“, ist LH Anton Mattle überzeugt.
Das Projekt „Die Polizei im Reichsgau Tirol und Vorarlberg“
Das Projekt zielt darauf ab, die gesamte Bandbreite von Handlungsweisen von Polizisten und Gendarmen aus dem Reichsgau Tirol und Vorarlberg auszuloten: von der Beteiligung an der Shoah und an Besatzungsverbrechen im Kontext von Bevölkerungspolitik und Widerstandsbekämpfung, an der Repression politischer Gegnerschaft, an sozialer Ausgrenzung und rassistischer Ausbeutung, über ambivalentes Verhalten zwischen Konformismus und Nonkonformismus bis hin zu widerständigem Handeln und der Beteiligung an der Befreiung vom Nationalsozialismus. Vor dem Hintergrund des Neuaufbaus der Exekutive nach 1945 geht es dabei auch um die Analyse, wie polizeiliches Handeln in einer Diktatur nach 1945 im demokratischen Rechtsstaat bewertet wurde.
Förderschwerpunkt „Erinnerungskultur“
Das Projekt ist Teil des Förderschwerpunkts „Erinnerungskultur“, der im Jahr 2013 von der Tiroler Landesregierung beschlossen und im Jahr 2023 auf weitere fünf Jahre verlängert wurde. Ziel dieses Förderschwerpunkts ist es, historische und gesellschaftliche Entwicklungen im Tirol des 20. und 21. Jahrhunderts kritisch zu hinterfragen und aufzuarbeiten. Die Projektanträge werden von einem eigens eingerichteten Beirat bewertet und zur Förderung empfohlen.