Geschichte des Tiroler Parlamentarismus
Die Anfänge
Die Bezeichnung Tirols als „älteste Festlanddemokratie“ basiert auf dem Umstand, dass den Landständen – das waren hierzulande Klerus, Adel, Bürgertum und auch die ländliche Bevölkerung – schon früh eine gewisse politische Mitsprache zugesichert wurde. Bereits 1293 holte Graf Meinhard II. (Regierungszeit: 1258 – 1295) für die Erlassung einer neuen Gerichtsordnung für die Grafschaft „Botzen“ die Zustimmung der Stände ein, 1342 wurden ihre Befugnisse schließlich im Tiroler Freiheitsbrief von Graf Ludwig (RZ: 1341 – 1361) schriftlich festgehalten.
Der Landesfürst war somit verpflichtet, bei der Einhebung von außerordentlichen Steuern die Stände um deren Zustimmung zu bitten. Diese Hoheit über das Budget hat der Landtag bis heute inne. Eine weitere Rolle kam den Ständen in militärischen Belangen zu. Gemäß Landlibell von 1511 oblag es ihnen, für die Landesverteidigung zu sorgen. Im Gegenzug mussten sie vom Landesfürsten (theoretisch) bei der Entscheidung über Krieg oder Frieden zu Rate gezogen werden.
Wechselvolle Jahrzehnte
Unter Karl VI. (RZ: 1711 - 1740) weiteten die Landstände ihren Einfluss aus. Für die Bestätigung der Pragmatischen Sanktion (1720) erhielten sie eine dauerhafte Vertretung in Innsbruck und Bozen, die unter verschiedenen Namen bis 1808 fortexistierte. Eindrucksvolles Zeugnis des ständischen Selbstbewusstseins jener Zeit ist das barocke Alte Landhaus (hierzu mehr in der Broschüre Das Alte Landhaus. Barockes Juwel und Sitz des Tiroler Landtags).
Maria Theresia (RZ: 1740–1780) und Joseph II. (RZ: 1780–1790) gingen dann daran, die Selbstverwaltung der Stände einzuschränken und sie dem landesfürstlichen Verwaltungsapparat einzugliedern, was jedoch scheiterte. Weiterhin fanden jährlich Ausschusssitzungen statt, 1790 sogar eine letzte Vollversammlung aller vier Stände. Unter der bayerischen Herrschaft setzte schließlich der Verfall der landständischen Macht ein.
In den folgenden Jahrzehnten durchlief die Tiroler Volksvertretung Höhen und Tiefen. Sich gegenseitig ablösende Verfassungen gestanden den Ständen wechselnd mehr, weniger oder de facto gar keine Teilhabe zu.
Von der ständischen Vertretung zum demokratisch legitimierten Landtag
In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts begannen sich die Strukturen zu wandeln. Anstelle der Stände etablierten sich politische Strömungen, die schlussendlich in Parteigründungen mündeten. Die Landtage waren geprägt vom Gegensatz des in Tirol dominierenden Konservativismus zum in Wien teilweise vorherrschenden Liberalismus bzw. Zentralismus sowie von Autonomiebestrebungen der italienischsprachigen Bevölkerung. In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg kam es zur Machtverschiebung von den Katholisch-Konservativen zu den progressiveren Christlichsozialen, neben Liberalen etablierten sich auch Deutschnationale. Bei den Wahlen von 1914 zogen zudem erstmals Sozialdemokraten in den Landtag ein.
Während der Kriegsjahre sollte der Landtag nicht mehr einberufen werden – mit dem Ende der Kampfhandlungen kam auch das Ende des bisher gekannten politischen Systems: Die Monarchie war Geschichte, an ihre Stelle trat die Republik. Während in Wien im Oktober 1918 Reichratsabgeordnete zur provisorischen Nationalversammlung zusammentrafen und im Folgemonat die Demokratie aus der Taufe hoben, berief Tirols Landeshauptmann Josef Schraffl eine vorläufige Landesversammlung ein. Diese verwehrte sich mehrheitlich gegen den von Wien propagierten Zentralismus. Letztendlich trat Tirol – unter Wahrung gewisser Selbstbestimmungsrechte – der neu gegründeten Republik Deutschösterreich bei, die ihrerseits den Anschluss an das Deutsche Reich anstrebte.
Die Erste Republik
In der im April 1919 verabschiedeten Wahlordnung wurde allen „deutschösterreichischen“ StaatsbürgerInnen, die das 20. Lebensjahr vollendet hatten, das aktive sowie passive Wahlrecht zugestanden. Somit war es Frauen erstmals in der Geschichte Tirols möglich, direkt politisch zu partizipieren. Mit Maria Ducia und Karoline Wagenender zogen am 1. Juli 1919 erstmals zwei weibliche Abgeordnete in den Tiroler Landtag ein (hierzu mehr in der Broschüre „Frau Abgeordnete, Sie haben das Wort.“ 100 Jahre Frauen im Tiroler Landtag).
Mit dem Ende des Ersten Weltkrieges kam nicht nur die Demokratisierung, sondern auch der Verlust Südtirols. Während der Landtag zunächst noch auf eine Wiedervereinigung des südlichen mit dem nördlichen Landesteil hoffte und in sämtlichen politischen Entscheidungen auch Südtirol mitbedacht wurde, besiegelte die Ratifizierung des Vertrags von St. Germain im Juli 1920 völkerrechtlich die Spaltung des Landes. Darin wurde auch das Anschlussverbot an Deutschland festgeschrieben, weshalb der Name von Deutschösterreich in Österreich geändert werden musste. Im Folgejahr beschloss der Tiroler Landtag seine erste republikanische Landesordnung. Hinsichtlich des Vorsitzes orientierte man sich jedoch noch an früheren Zeiten, der Landeshauptmann stand auch während der Ersten Republik an der Spitze des Landtages.
"Kanzlerdiktatur" und Nationalsozialismus
Nachdem die Bundesregierung unter Kanzler Engelbert Dollfuß im März 1933 das Parlament am Zusammenkommen gehindert hatte und damit Österreich in einen autoritär regierten Staat umwandelte, wurden auch in Tirol die für April geplanten Landtagswahlen ausgesetzt. Mittels eines Ermächtigungsgesetzes wurde das Tiroler Parlament im Februar 1934 aufgelöst und das Gesetzgebungsrecht an den Landeshauptmann übertragen.
Anstelle der demokratisch legitimierten Volksvertretung wurde ein ständisch organisierter Landtag ins Leben gerufen. Die Abgeordneten wurden nicht gewählt, sondern auf Vorschlag ihrer Berufsgruppen durch den Landeshauptmann ernannt. Gemäß den autoritären Strukturen des Staates hatten sie kaum Spielraum zur politischen Mitgestaltung.
Mit dem „Anschluss“ Österreichs an das Deutsche Reich im März 1938 wurde die „Kanzlerdiktatur“ unter den Bundeskanzlern Engelbert Dollfuß und Kurt Schuschnigg durch jene des Nationalsozialismus ersetzt. Durch die Einführung des deutschen Reichsgesetzes wurde der ständische Landtag mit 17. März 1938 aufgelöst. Die Verwaltung des Reichsgaues Tirol-Vorarlberg übernahm der Reichsstatthalter Franz Hofer, der im in den Jahren 1938/39 errichteten Gauhaus (Neues Landhaus) residierte.
Die demokratische Wiedergeburt Tirols
Nach der Befreiung durch US-amerikanische Truppen in Innsbruck bildeten die in Tirol aktiven Widerstandsgruppen Anfang Mai 1945 einen Exekutivausschuss, aus dem eine vorübergehende Landesregierung unter Karl Gruber hervortrat. Am 10. Juli kamen Vertreter der Volkspartei, der Sozialdemokratie und der Kommunisten zusammen, um die „Provisorische Tiroler Landesversammlung“ zu bilden. Anders als noch 1918 bekannte man sich von Beginn an zur wiedererrichteten Republik Österreich. Parallel zu den Nationalratswahlen fanden in Tirol am 25. November 1945 – erstmals seit mehr als 16 Jahren – wieder freie Landtagswahlen statt.
Mit der Landesordnung vom Juni 1946 trat zu großen Teilen jene Verfassung wieder in Kraft, die der Landtag 1921 verabschiedet hatte. Ihre umfassendste Reform der letzten Jahre erlebte die Landesordnung mit der sogenannten „Demokratie-Novelle“ von 1998. Dabei wurde der bis dahin für die Bildung der Landesregierung angewandte Proporz durch ein reines Mehrheitswahlsystem ersetzt. Auch wurden die Minderheiten- sowie Kontrollrechte des Landtages gestärkt. Seit 2003 verfügt das Tiroler Parlament mit dem Landesrechnungshof über eine eigene, unabhängige Prüfstelle. Gemeinsam mit dem bereits 1989 eingerichteten Landesvolksanwalt, der sich Beschwerden über die Landesverwaltung annimmt, bildet der Landesrechnungshof die beiden weisungsfrei agierenden Organe des Tiroler Landtages.