- Inklusionslandesrätin gemeinsam mit FachexpertInnen von Land, Lebenshilfe Tirol und argeSODiT in Glasgow
- Schottland als Best Practice: „Self-Directed Support“ ermöglicht Menschen mit Behinderungen Wahlmöglichkeiten und Kontrolle über eigene Unterstützung
- Tiroler Bedarfs- und Entwicklungsplan der Behindertenhilfe in Ausarbeitung
Das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben ist ein zentrales Prinzip der UN-Behindertenrechtskonvention: Menschen mit Behinderungen sollen durch individuelle Unterstützungen autonom leben und eigene Entscheidungen treffen können. Mit dem „Self-Directed Support“ (SDS) setzt Schottland ein innovatives Modell zur Stärkung der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderungen um. Es ermöglicht ihnen mehr Wahlmöglichkeiten und Kontrolle über ihre eigene Unterstützung. Um sich ein Bild dieser erfolgreichen personenzentrierten Begleitung zu machen, ist Inklusionslandesrätin Eva Pawlata gemeinsam mit FachexpertInnen des Landes sowie der Lebenshilfe Tirol und argeSODiT, dem Dachverband der Organisationen für Menschen mit Behinderungen in Tirol, diese Woche zu Besuch in Schottland. Dort will die Tiroler Delegation Einblicke in das Konzept der selbstbestimmten Unterstützung gewinnen. Dafür steht insbesondere der Austausch mit ENABLE Scotland, einem führenden Dienstleistungsunternehmen für Menschen mit Lernschwierigkeiten, auf dem Programm. Die Erkenntnisse sollen direkt in den Bedarfs- und Entwicklungsplan (BEP) der Behindertenhilfe 2025-2032 fließen.
„Das selbstbestimmte Leben ist ein zentrales Menschenrecht. Von besonderer Bedeutung ist dabei der Bereich des Wohnens: Wie, wo und mit wem jemand wohnen möchte, sollte jede bzw. jeder selbst entscheiden können. Es geht aber auch um die Bereiche Bildung und Arbeit. Mit dem Tiroler Teilhabegesetz haben wir in Tirol eine fundierte Basis für ein selbstbestimmtes Leben von Menschen mit Behinderungen geschaffen. Eine der wichtigsten Säulen ist dabei die ‚Persönliche Assistenz‘. Um die Selbstbestimmung und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen weiter auszubauen und zu stärken, holen wir uns Inspiration in Schottland. Es geht darum, Gemeinsamkeiten zwischen den Systemen und Leistungen zu erkennen und aus den Erfahrungen eines Modells zu lernen, das ganz im Sinne der Leistungsempfängerinnen und -empfänger steht“, betont LRin Pawlata.
Leben wie andere auch – mit Assistenz
Organisiert wurde die Reise im Auftrag der Lebenshilfe Tirol von Franz Wolfmayr vom Zentrum für Sozialwirtschaft in Graz: „In Schottland wurden bereits bis 2005 alle großen Heime geschlossen. Die dort lebenden Personen sind mit der notwendigen Unterstützung in ihre Heimatgemeinden übersiedelt. Ein Gesetz schafft seit 2013 die Voraussetzung dafür, dass alle Personen mit allen Formen von Behinderungen so leben können, wie sie das möchten – so wie andere auch, mit Assistenz.“
Die Lebenshilfe Tirol verfügt über 35 Jahre Erfahrung in der Begleitung von Menschen mit Behinderungen in selbstbestimmten Wohnformen und beweist täglich, dass auch Menschen mit hohem Unterstützungsbedarf genauso leben können wie alle anderen. „Die Eindrücke von ENABLE Scotland bestärken uns darin, noch mehr Motor und treibende Kraft für gesellschaftliche Veränderungen zu sein und uns als Menschen- und Bürgerrechtsorganisation für die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention stark zu machen. Dazu gehört auch, bestehende Angebote und Konzepte immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln. Alle Menschen sollen ein Leben führen können, in dem alles möglich ist“, sagt Thomas Niederwieser, Regionalleiter der Lebenshilfe in Osttirol. Auch der Regionalsprecher der Lebenshilfe in der Region, Thomas Baumgartner, zeigt sich von ENABLE Scotland beeindruckt. „Die Sprecherinnen und Sprecher in Schottland sind viel aktiver und gehen mit ihren Anliegen an die Öffentlichkeit. Das möchte ich in Zukunft auch tun und mich so noch mehr für die Rechte meiner Kolleginnen und Kollegen einsetzen“.
Ludwig Plangger, Obmann der argeSODiT, ergänzt: „Durch die gemeinsamen Erfahrungen, die wir machen und vor Ort miteinander reflektieren, bringen wir unterschiedliche Blickwinkel in die Diskussion ein. Wir sind zuversichtlich, dass wir dadurch neue Ideen und Impulse in die Weiterentwicklung der personenzentrierten Begleitung von Menschen mit Behinderungen nach Tirol mitbringen werden.“ Die argeSODiT vertritt die Interessen von 32 Mitgliedsvereinen und damit von insgesamt 3.500 MitarbeiterInnen, die rund 10.000 NutzerInnen in Tirol begleiten.
Selbstbestimmt Leben auf Schottisch
Dass Schottland in Fachkreisen als Vorreiter in Sachen Inklusionspolitik gilt, hat vor allem mit dem gesetzlichen Rahmen des „Self-Directed Support Act“ von 2013 zu tun. Er verpflichtet lokale Behörden dazu, Menschen, die Anspruch auf soziale Unterstützung haben, verschiedene Möglichkeiten anzubieten. So können sie die Art der Unterstützung bestimmen und wählen, ob sie Direktzahlungen bekommen möchten, eine lokale Behörde oder ein Dienstleister das Budget verwalten oder diese die Auswahl und Organisation der Unterstützung übernehmen sollen. Auch Dienstleister und Zeitpläne können selbst festgelegt werden. ENABLE hat 2.500 MitarbeiterInnen und unterstützt mehr als 13.000 Menschen mit Behinderungen in Schottland. Im Bereich der Persönlichen Assistenz werden dabei mehr als 2,5 Millionen Stunden an Unterstützungsleistungen pro Jahr erbracht. Jede/r persönliche AssistentIn wird von der Person, für die sie bzw. er arbeiten soll, interviewt und ausgewählt und über ENABLE als Dienstgeber angestellt. ENABLE verwaltet auch das persönliche Budget und rechnet es gemeinsam mit der Person mit Behinderungen ab.
Von der Forschung in die Praxis
Zu Beginn des Programms traf sich die Tiroler Delegation mit der Anwältin und Autorin Christy McFadyen vom Fraser of Allander Institute in Glasgow. Dort wird zur Datengrundlage betreffend Menschen mit Behinderungen geforscht. Nach einer Einführung in die politischen Rahmenbedingungen in Schottland und das Konzept der „Self-Advocacy“ (Selbstvertretung) durch das ENABLE-Team ging es zum Inspire House – dem Headquarter des Unternehmens. Dort gab ENABLE Einblicke in die Tätigkeitsfelder, zu denen neben der Persönlichen Assistenz und dem Schaffen von sozialen Netzwerken für Menschen mit Behinderungen etwa auch die Initiierung und Durchführung von Sensibilisierungskampagnen zählt.