- „Barrierefreies Bauen in Tirol ist ausbaufähig“
- Am 26. Oktober 2008 unterzeichnete Österreich die UN-Behindertenrechtskonvention
- Tiroler Monitoringausschuss überwacht die Umsetzung der Konvention in Tirol
- Staatenprüfung Österreichs im Sommer 2023 dient als Leitfaden für weitere Arbeit des Monitoringausschusses
- Barrierefreies Bauen als ein zentraler Punkt: Tiroler Monitoringausschuss für strengere Bestimmungen
Am 26. Oktober vor 15 Jahren unterzeichnete Österreich die UN-Behindertenrechtkonvention. Sie ist seither auch für Tirol gültig. Um die Umsetzung der Konvention zu begleiten, wurden Monitoringausschüsse bestellt. Der seit 2014 bestehende Tiroler Monitoringausschuss setzt sich für den Schutz, die Förderung und die Überwachung der UN-Behindertenrechtskonvention in Tirol ein. Dahinter stehen 16 Mitglieder, die größtenteils selbst Menschen mit Behinderungen, aber auch ExpertInnen aus den Bereichen Wissenschaft, Lehre oder Recht sind. Diesen Sommer besuchte die Vorsitzende des Tiroler Monitoringausschusses, Isolde Kafka, die kombinierte 2. und 3. Staatenprüfung Österreichs des Fachausschusses für die Rechte von Menschen mit Behinderungen der Vereinten Nationen (hier sind die abschließenden Bemerkungen auf Deutsch nachzulesen). Die Ergebnisse der Staatenprüfung dienen als Leitfaden für die weitere Arbeit des Monitoringausschusses. Ein zentraler Punkt ist dabei das barrierefreie Bauen. Der Tiroler Monitoringausschuss will anlässlich der Rückmeldung im Rahmen der Staatenprüfung daher strengere Bestimmungen bei der Barrierefreiheit von Wohnungen in der Tiroler Bauordnung forcieren.
„Es war beeindruckend zu erleben, wie eingehend sich das UNO-Komitee in Genf bei der Staatenprüfung mit der Situation von Menschen mit Behinderungen in Österreich beschäftigt hat. Dies ging bis zu der konkreten Frage, warum die Bestimmungen zur Barrierefreiheit bei Wohnanlagen in der Tiroler Bauordnung gelockert wurden“, berichtet Kafka. So zeigte sich das Komitee (Auszug aus Punkt 26b) besorgt über „die Rückschritte bei den Standards für den barrierefreien Wohnungsbau, die die ohnehin schon erheblichen Hindernisse für die Gewährleistung eines selbstbestimmten Lebens noch verstärken.“ Das Komitee fordert daher, auch rechtlich die Standards zu erhöhen.
Selbstbestimmtes Wohnen im Fokus
„Selbstbestimmtes Wohnen ist ein Menschenrecht. Die UN-Behindertenrechtskonvention sieht Barrieren als ein zentrales menschenrechtliches Problem“, führt Isolde Kafka aus. So sind die meisten Menschen im Laufe ihres Lebens einmal auf Barrierefreiheit angewiesen – dies trifft etwa auf ältere Personen genauso wie auf Schwangere oder auf Personen mit Kinderwagen zu. Gerade für ältere Personen kann fehlende Barrierefreiheit bedeuten, dass sie aus ihrer Wohnung ausziehen müssen. „Das wiederum führt auch zu immensen Kosten für die Allgemeinheit. Menschen mit Behinderungen haben nicht nur ein Recht darauf, genauso selbstbestimmt zu wohnen wie alle anderen auch, sondern zum Beispiel auch darauf, andere besuchen zu können – das geht aber nur, wenn der Wohnraum barrierefrei gestaltet ist“, so Isolde Kafka.
Seitens des Landes setzt man etwa beim Strukturplan Pflege auf den Ausbau von alternativen Versorgungsformen wie das betreute Wohnen und damit auf selbstbestimmtes Wohnen im Alter.
Barrierefreie Wohnung heißt nicht barrierefreie Toilette
Konkrete Erhebungen dazu, wie viele Wohnungen im Tiroler Wohnbestand barrierefrei sind, gibt es derzeit nicht. Schätzungen gehen von rund vier Prozent aus. „Nach mehreren Änderungen der Tiroler Bauordnung muss eine Wohnanlage seit 2020 erst ab der siebten Wohnung barrierefrei gebaut werden. Wobei barrierefrei nur bedeutet, dass das Haus mit Lift erschlossen werden muss und die Wohnungen dann für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer im Bedarfsfall umbaubar sind. Das heißt im Klartext: In den meisten komplett neu errichteten ‚barrierefreien‘ Wohnungen ist es für Rollstuhlfahrerinnen und Rollstuhlfahrer nicht möglich, die Toilette zu benutzen“, erläutert Isolde Kafka. Die Wohnungen selbst seien nicht barrierefrei – vor allem für Personen mit einer Seh- oder Hörbehinderung. Der aktuelle Status Quo sei daher, dass es in Tirol kaum tatsächlich bzw. in der Praxis barrierefreie Wohnungen gibt. Dies betrifft vor allem auch ländliche Gebiete, wo durch die Änderungen der Bauordnung gerade kleine Anlagen nicht mehr den Bestimmungen für Barrierefreiheit unterliegen.
Barrierefreie Adaptierungen doppelt so teuer wie barrierefreie Planung
Laut internationalen Studien erhöht barrierefreies Bauen die Kosten bei Neubauten je nach Größe des Gesamtobjekts zwischen 0,5 und 1,8 Prozent. Nachträgliche barrierefreie Adaptierungen dagegen sind rund doppelt so teuer: Sie erhöhen die Gesamtbaukosten um 3,6 Prozent. „Eine barrierefreie Planung von Beginn an ist daher auch aus ökonomischer Perspektive sinnvoll. Zugleich zeigen diese Zahlen, dass Barrierefreiheit kein zentraler Kostentreiber ist. Die Gründe für die Kostenexplosionen im Wohnbau liegen in anderen Bereichen“, so Isolde Kafka.
Abschließend resümiert die Vorsitzende des Tiroler Monitoringausschusses: „Barrierefreies Bauen und Wohnen in Tirol ist daher ausbaufähig, wie auch die Staatenprüfung belegt. Wir setzen uns dafür ein, dass die Änderungen der Tiroler Bauordnung, die de facto eine Verschlechterung für die Barrierefreiheit bedeuten, zurückgenommen werden und barrierefreies Bauen und damit ein selbstbestimmtes Leben für alle Menschen auch rechtlich verankert und umgesetzt wird.“
In einer Stellungnahme hat sich der Tiroler Monitoringausschuss ausführlich mit dem Thema Wohnen beschäftigt.
Mehr Informationen zum Tiroler Monitoringausschuss finden sich unter www.tirol.gv.at/monitoringausschuss.